Sunday, July 31, 2016

Ein Nagel, der herausragt, muss eingeschlagen werden: Die chinesische Tragödie geht weiter...

The hat of my dad - Part II of III
Die Zukunft hat begonnen und ist viel dreckiger, als George Orwell es jemals hätte sich ausmalen können. Wie sich der eine oder andere Leser erinnern kann, hatte ich im letzten Monat über die entführten Buchhändler aus Hongkong berichtet. Die Feststellung, dass das Verkaufen von Büchern in manchen Teilen der Welt verwerflicher als der Handel mit Drogen ist, sollte eigentlich der Versuch sein, die Sache etwas mit Humor zu würzen. Bitter ist, wenn man die Entführungen durch die chinesische Regierung im Zusammenhang mit anderen Details der gesellschaftlichen Umstrukturierung im Land der Morgenröte betrachtet. Was dort gerade passiert, kann man durchaus als Entstehen einer Blaupause betrachten, wie man mit relativ wenig Aufwand und der Verwendung des Internets ein ganzes Volk auf den vorgegebenen Kurs des Großen Bruders bringt.


Ich persönlich mag "1984" als Science Fiction nicht, aber das Buch hat ein paar Details, die heute wieder richtig  aktuell werden: Die "Gedankenpolizei", welche permanent die Bevölkerung überwacht und die Privatsphäre durch die Installation von "Televisoren" in den Wohnungen der Bürger abgeschafft hat. Eine umfassende Überwachung, der man nicht entkommen kann und was wie eine ferne Dystopie klingt: Es wird die Gegenwart für viele Menschen in sehr naher Zukunft werden.

Die Voraussetzugen sind geschaffen, denn viele Geräte leisten heute schon das, was Orwell vor knapp 70 Jahren beschrieben hat. Smartphone, Smart-TV, das Internet der Dinge und Geräte die auf Zuruf zum Beispiel eine Serie im Fernseher starten. Das sind die "Televisoren" der Gegenwart, die dem Hersteller mitteilen, was Sie gerade tun, treiben und wo sie sind. Auch wenn wir es gerne ignorieren: Das Ausmaß der Daten, die wir aus unseren vier Wänden bereitwillig mit dem Rest der Welt teilen, steigt rapide an. Viele Geräte auf Zuruf funktionieren nur, wenn die Aufnahme mit den Datenbanken des Unternehmens abgeglichen werden. Und es wird alles aufgenommen und ausgewertet. Ah, hat da nicht im Hintergrund ein Hund gebellt? Schon gibt es Werbung für Tierfutter, den passenden Napf und die Hundeleine aufs Auge gedrückt. Halten Sie das für eine übertriebene Vorstellung?

Die Auswertung wird heute schon mit Ihrem E-Mail Verkehr gemacht: Apple und Google werten Ihre privaten E-Mails aus und blenden entsprechend relevante Werbung ein. Einer der Gründe, warum der E-Mail Account anscheinend umsonst ist. In Wirklichkeit bezahlen Sie für den Service einen hohen Preis: Die Daten, die Sie produzieren und private Interessen werden in klingende Münze verwandelt.

Wissen bedeutet Kontrolle und auch wenn es im ersten Augenblick wie ein mittelschwerer Ausbruch von Paranoia und Verfolgungswahn klingt: Staat und Industrie haben kein Interesse daran, dass Sie private Rückzugsräume haben und arbeiten oft Hand in Hand, um diese abzuschaffen. Im Westen eher heimlich und noch etwas zaghaft, im fernen Osten wird das professionell im Feldtest mit Millionen von Bürgern gemacht.

Die chinesische Regierung hat in Zusammenarbeit mit Alibaba und Tencent eine App namens “Sesame Credit” entwickelt, die ab 2020 für alle chinesischen Bürger verpflichtend sein soll. Die App macht etwas sehr simples: Sie erstellt eine Wertung zwischen 350 und 950, eine Zahl mit welcher der gesellschaftliche Wert eines Bürgers gemessen wird. Je nachdem wie hoch oder niedrig er ausfällt, gibt es Vor- und Nachteile im Leben eines chinesischen Staatsbürgers. Hoch genug bekommt man Kredite ohne Bürgschaft, zu niedrig und man kann in bestimmte Gegenden keine Wohnung bekommen. Es gab dazu eine klare Ansage: Wer eine anständige Wertung hat, wird belohnt und wer unter einen bestimmten Wert fällt, muss mit Sanktionen rechnen.

Das kennen wir auch ähnlich hier in Deutschland mit Bürgel, Boniversum, Deltavista, Infoscore oder Schufa. Das läuft unter dem freundlichen Namen “Bonitätsprüfung” und ist eher an der Zahlungsmoral orientiert. Der Unterschied zu China ist: Bürger werden nicht individuell bewertet, sondern nach dem Prinzip “Sippenhaftung” abgeurteilt. Man wird einer Vergleichsgruppe zugeordnet und je nach dem wie die Zahlungsmoral dieser Vergleichsgruppe war, gibt es Bankkonto, Kredit oder die Wohnung in München.

Aber eine reine Bonitätsprüfung ist lediglich der Anfang. China ist den längst fälligen Schritt gegangen und erfasst zum Beispiel die Einkäufe, die Freunde im Sozialen Netzwerk und deine Beiträge, deine Hobbies und vieles mehr. Kaufst du zum Beispiel Babysachen, dann steigt der sozialer Wert. Du kaufst schmutzige Comics und ein Nachbar erwischt dich dabei? Dann kann er dies berichten und dein Wert sinkt. Es ist Stasi 2.0 und der chinesische Staat arbeitet daran, dass der Job der Gedankenpolizei vom ganzen Volk übernommen wird, dass sich gegenseitig überwacht.

Es ist so simpel und genial in seiner Ausführung, dass es zum Fürchten ist. Ein Entkommen ist nur schwerlich möglich, denn wir erinnern uns: Eine Teilnahme am Reichtum einer Gesellschaft ist nur dann möglich, wenn man eine vernünftige "Soziale Wertung" aufweisen kann. Jobs, Chancen auf Heirat, Wohnung, Anträge bei Behörden, Besuche beim Arzt und die richtigen Medikamente - alles abhängig von einer simplen Zahl, die übrigens jeder Bürger von jedem Bürger online einsehen kann. Und nicht nur die Nachbarn verpfeifen dich, sondern auch in Zukunft dein Kühlschrank, Fernseher oder Blue-Ray Player. Das Internet der Dinge wird umgehend den Hersteller und die Behörden informieren, wenn politisch nicht korrekte Filme abgespielt werden. 

Darum sind Bücher so gefährlich für die Zukunftspläne einiger Machthaber: Man kann diese Lesen, ohne dass ein digitaler Spitzel darüber Bericht erstattet. Man kann den Inhalt nicht auf Knopfdruck ändern oder gleich ganz löschen. Und darum sehen die Staaten und Industrie die bargeldlose Zahlung mit Begeisterung: Alles ist nachverfolgbar, jeder Einkauf vermerkt und alle Daten verwertbar. Bargeld bedeutet die Freiheit Sachen zu kaufen, die nicht mit deiner Person in Verbindung gebracht werden können, kurz: Das Internet ist keine Macht des Guten und den Preis, den wir für die genialste Erfindung seit dem Buchdruck bezahlen werden, ist der Verlust unserer Freiheit und Individualität.

Denn ich kann mir nur sehr schwerlich das Leben im Jahr 2020 in China als lebenswert vorstellen, wenn diese “soziale Wertung” verpflichtend wird. Jegliche Individualität, eigene Meinung oder Freunde mit “falschen” politischen Ansichten können zu einer Abwertung führen, die mein Leben sehr negativ beeinflussen kann. Der extravagante Hut, den ich mir gekauft habe? Findet meine Nachbarin scheußlich und gibt deshalb meine “westliche Tendenzen” im sozialen Netzwerk zum Besten, was mir eine Abwertung und den Verlust meines Jobs einbringt.

Das ist nicht die Welt, in der ich leben möchte!

An dieser Stelle möchte ich noch einmal meine Empfehlung für drei Bücher wiederholen, die in der heutigen Zeit vielleicht etwas altbacken wirken, im Inhalt jedoch eine gewisse Aktualität aufweisen: "Fahrenheit 451: A Novel", "Der Schockwellenreiter. Roman" und "1984". Bei letzterem Buch würde ich jedoch "1985" von Antony Burgess empfehlen, der sich weitaus intelligenter der Thematik annähert. Vor allem ist er der bessere Schriftsteller.

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