Thursday, November 3, 2016

Civilisation 6: Die Rezension einer Hassliebe




Die Beziehung zwischen mir und Civilisation 6 ist inzwischen von einer Hassliebe geprägt. Es ist ein klasse Spiel mit tollen Ideen und kann mit Sicherheit den besten Start der gesamten Reihe aufweisen. Interessant und mit vielen neuen Details, die es jetzt schon zu einem Klassiker machen. Die Grafik ist Geschmackssache, aber das Design ist in sich stimmig und sieht - meiner bescheidenen Meinung nach - richtig gut aus.  Aber: Für jede sinnvolle Neuerung haben die Programmierer und Designer des Spieles an einer anderen Stelle geschlampt und manche Sachen sind so offensichtlich, dass es weh tut. 

Nennen wir die Kinder beim Namen: Balance, Exploits, Bugs und eine KI mit fragwürdigen Entscheidungen. Vor allem die KI kann die eigentlich guten Spielmechaniken nicht umsetzen und hat zum Zeitpunkt des Release die Spielintelligenz von geschnittenem Brot. Für einen Spieler, der neu in diesem Genre ist, mag es im ersten Blick nicht auffallen, aber Fireaxis hat sich hier einige grobe Schnitzer geleistet.

In den Schwierigkeitsgraden bis "Emperor" stellt die KI kriegstechnisch zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für einen einigermaßen erfahrenen Spieler dar. Das liegt an zwei Tatsachen: Zum ersten fallen einem die gegnerischen Städte bis Runde 120 mit ein paar Bogenschützen und einer oder zwei Nahkampfeinheiten zu Füßen. Eigentlich eine gute Idee, dass Städte nicht mehr das Bollwerk aus früheren Teilen sind, die mit einem einzelnen Bogenschützen und einer weiteren Einheit ganze Heerscharen von Gegnern aufhalten konnte. Man muss und sollte Truppen bauen, wenn man sein Hab und Gut schützen will. Schlecht ist allerdings, dass die KI nur wenig bis gar keine Bogenschützen baut und hauptsächlich Krieger spammt, die Opfer für ein paar Bogeneinheiten sind, sprich: Die Städte sind wehrlos und mit einem Gegner in der Nähe macht es keinen Sinn Siedler zu bauen. Man baut ein paar Truppen und nimmt die Städte sehr schmerzfrei ein. Cheesy aber sehr effektiv. 

Multiplayer: 3 Friends - Move now!


Nun, man kann sich auch beherrschen und kann der KI auf dem weiten Feld der Wissenschaft entgegentreten, oder? Einer der Neuerungen sind die "Eureka Momente", mit denen eine Forschung beschleunigt werden kann. Man baut eine Stadt am Meer und bekommt dafür einen Boost, der die Forschung von "Segeln" beschleunigt. Klasse Sache! Liebe ich, da es die Forschung relativ dynamisch gestaltet. Die KI jedoch kann damit nicht umgehen, sie "begreift" das Konzept nicht. Das führt dazu, dass man mit genügend Produktion keinen einzigen Campus, Bibliothek oder Universität bauen muss und trotzdem der Führende in der Forschung sein kann. Aber auf "Unsterblich" und "Gottheit" ist es doch anders, oder?

Es ist anders, aber anders als man denkt. Inzwischen stehe ich der Idee skeptisch gegenüber, dass die Unzulänglichkeiten der KI auf höheren Schwierigkeitsgraden mit Boni auf Produktion und Wissenschaft ausgeglichen werden. Das war für CivI bis CivIV eine gute Methode, um menschlichen Spielern das Leben schwer zu machen, aber mit der Auflösung der "Stack of Dooms" und der Einführung von "Nur-eine-Einheit-pro-Feld" halte ich es für kontraproduktiv, solange die KI nicht ausgeglichene Armeen baut und mit einer Einheit pro Feld umgehen kann. Ob 10 oder 20 Krieger vor meiner Stadt stehen ist mir relativ egal: Es können nur eine bestimmte Anzahl angreifen, der Rest steht in der Pampa und langweilt sich. 

Die Produktionsboni sind auf den höchsten Schwierigkeitsstufen ziemlich mächtig, aber machen den Gegner nur bedingt schwerer und es führt in jedem Fall zu Albernheiten auf dem Spielfeld. Ich erinnere mich mit Grausen an den Religionskrieg zweier Nachbarn, der um meine Städte mit 6 - 8 Aposteln auf jeder Seite + unzählige Missionaren ausgeführt wurde: Es war nicht mehr möglich, meine Truppen im eigenen Gebiet von Punkt A nach Punkt B zu bewegen. Diese und ähnliche Erfahrungen haben dazu geführt, dass ich "Unsterblich" meide, wie der Teufel das Weihwasser.

Mehr Intelligenz bei der KI würde dem Spiel gut tun, denn selbst so einfache Sachen wie die Truppen auf den neuesten Stand bringen, beherrscht diese nicht. Der Klassiker: Das letzte Mal wollte der Sumerer mich anwanzen, nur gut dass ich Infantrie hatte und er mit Schwertträgern, Pferdekarren und Katapulten - unzählig übrigens - um die Ecke kam. Da er nur 20 Punkte in Technologie unter mir war, kann das nicht am mangelnden Wissen gelegen haben. Sobald diese "Armee" untergegangen war, hatte er sich dann herabgelassen und ein paar etwas modernere Einheiten produziert. Da dies nicht nur in einem Spiel vorgekommen ist, sondern durchgehend so ist, stelle ich einfach einmal die offensichtliche Frage: "Wie konnte man das beim Testen dauerhaft übersehen?". 

Eine Frage, die man sich übrigens auch bei den Exploits und Bugs stellen muss. Manche sind beinahe so alt, wie die Civilisation Reihe - zum Beispiel der Missbrauch des Wissenschafts- und Produktions Overflow. Unlimitiertes Gold durch An- und Verkauf von Truppen? Bestimmte Eigenschaften von Staatsoberhäuptern und Technologien aus dem Kulturforschungsbaum? Scythia, die "Chivalry" Policy und der Verkauf von Truppen: "Kein Kommentar". Abholzen von Bäume, Dschungel und keine Abzüge, wenn man dies ausserhalb der Stadt macht? Alles vorhanden und vieles mehr. Da manche der - nennen wir es nicht Feature - Bugs sehr offensichtlich sind, ist das ärgerlich. In einem Single Player Game kann man die zahlreichen Exploits unter Aufbietung aller Willenskraft ignorieren und wie man gewinnt, bleibt einem selbst überlassen. Für diejenigen Spieler, die sich gerne im Multiplayer messen, ist es aber die Pest.




Die Spielmechaniken sind solide und gut, das Spiel sieht klasse aus und es gibt viele tolle Neuerungen. Der Aufbau einer Zivilisation hat selten soviel Spaß gemacht, die Spielmechanik mit den Stadtbezirken rockt. Aber der Gesamteindruck wird nicht nur durch neue Exploits und ein paar wirklich derbe Bugs getrübt, sondern auch durch eine stellenweise erschreckend schwache KI. Die fehlende Balance kann mit Sicherheit durch ein paar Patches korrigiert werden und die meisten Spieler können bedenkenlos zugreifen - man bekommt ein gutes Spiel, das lange Spaß macht. Aber für einen alten Strategiefuchs, der die Serie seit Jahren spielt? Nur bedingt zu empfehlen und nur dann, wenn man die Erwartungshaltung etwas nach unten schraubt.